Vorbemerkung

Ansel - ein eigenartiger Name für ein Bildbearbeitungsprogramm? Nun, er geht auf den Fotografen Ansel Easton Adams (1902-1984) zurück. Ansel E. Adams ist besonders durch seine  eindrucksvollen Landschafts- und Naturfotografien aus den Nationalparks, National Monuments und den "Wilderness Areas" im Westen der Vereinigten Staaten bekannt (s. Wikipedia). Von ihm gibt es aber auch bekannte Zitate wie: "Ein Foto wird meistens nur angeschaut – selten schaut man in es hinein."

Dies nahm Aurélien Pierre zum Anlass, ein Programm (weiter) zu entwickeln, dessen Basis darktable in der Version 4.0 ist. (Über darktable gab es hier auch schon einen Artikel - allerdings über eine ältere Version). Der Autor erzählt von sich selbst, dass er fundierte Kenntnisse auf dem Gebiet der Farbrepräsentation und -bearbeitung hat - ebenso wie im Bereich des Programmierens. An der Entwicklung von darktable hat er anscheinend ca. 4 Jahre mitgearbeitet, hat dieses Engagement dann aber beendet und sich der Programmierung von Ansel gewidmet. Auf der in Englisch und Französisch verfügbaren Homepage dieses Programms schreibt er dazu (in einer Übersetzung von DeepL): Ansel ist das, was Darktable 4.0 hätte sein können, wenn seine Entwickler nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wären, es in einen Albtraum der Benutzerfreundlichkeit zu verwandeln. Ansel ist eine Variante von Darktable 4.0, bei der 30.000 Zeilen schlecht geschriebenen Codes und halb kaputte Funktionen entfernt und 11.000 Zeilen neu geschrieben wurden: Sie läuft schneller, reibungsloser, verbraucht weniger Energie und erfordert weniger Konfiguration. Genießen Sie eine Anwendung, die sich auf die Erledigung der Arbeit und die Stabilität konzentriert. Der Autor vergleicht das Bearbeiten von Fotos in gewisser Weise mit dem Musizieren und bezieht sich dabei auf ein anderes Zitat von A. E. Ansel: "The negative is the score, and the print is the performance" - auf Deutsch also etwa: "Das Negativ ist die Partitur, der Abzug ist die Aufführung".

So sieht er die Software absolut als Gegenentwurf zu den momentan sich in einem Hype befindenden KI-Editoren. Hier kann man nicht per Knopfdruck den Himmel auswechseln oder andere KI-basierte Prozesse ausführen. Das Programm stellt die "Fotokünstler" wieder in den Mittelpunkt und bietet ihnen Werkzeuge, die sie benötigen, um in kreativen Prozessen die Farben sowie andere Aspekte eines Fotos zu bearbeiten. Das tut diese freie Software in Versionen für Windows (64 Bit) und Linux/MacOS.

Hierbei arbeitet Ansel grundsätzlich "nicht-destruktiv" - das heißt, das Original bleibt immer erhalten, alle Änderungen werden in zum Bild gehörenden XMP-Dateien (die zu darktable ab 2.0 kompatibel sind) abgespeichert. Sie lassen sich - gegebenenfalls - also zum Beispiel auch später wieder zurücknehmen. Die Bearbeitungsmöglichkeiten sind hierbei sehr weitgehend: Zum Beispiel können in Lichtern, Mitteltönen und Schatten viele Parameter wie Brillanz, Sättigung und "Chrome Grading" getrennt angepasst werden. Masken, die lediglich eine Bearbeitung eines bestimmten Teil eines Bildes erlauben,  lassen sich vielfältig generieren - zum Beispiel auf der Basis von Farbtönen, Helligkeiten oder über- bzw. unterbelichteten Bereichen.

Das Programm

Vom ersten Anschein her sind sich die beiden Programme (darktable nutze ich zurzeit in der Version 4.4.2) tatsächlich sehr ähnlich. Hier sehen Sie eine in Ansel geöffnete Datei:

       Ansel - BIldbearbeitung

Gegenüber darktable ist der linke Bildschirmteil etwas aufgeräumter (das kann sich allerdings ändern, wenn im linken unteren Bereich die Metadaten des Fotos angezeigt werden) - besonders aber fällt die nicht konsequente Lokalisierung auf. Während links und rechts deutsche Begriffe verwendet werden, finden wir in der Menüleiste dafür englische Wörter. Der Autor bezeichnet dies als "teilweise Übersetzung".

Vergleicht man die Editor-Darstellung beider Programme, ähneln sie sich in vielen Punkten. Beide arbeiten - kein Wunder bei der gleichen Codebasis - mit Sammlungen von Bildern, die man erst erstellen muss, also nicht zum Beispiel mit Ordner auf der Festplatte als Bildquellen. Das Erstellen solcher Sammlungen geht aber nicht in der Editor- sondern nur in der Leuchttisch-Ansicht, in der sich das Programm nach dem Start automatisch befindet.

Ansel hat einige Bedienungsfelder weniger als darktable - aber das scheint ja genau eines der Ziele des Autors gewesen zu sein. Gleiche Bedienungsmodule haben tatsächlich oft die gleichen Kontrollelemente - lediglich die Anordnung bzw. Einsortierung in bestimmte Gruppen unterscheidet sich häufiger.

Besonderheiten

Ich möchte jetzt hier nicht die einzelnen Möglichkeiten des Programms aufzählen - erstens sind es viel zu viele, zweitens gibt es eine ziemlich gute Dokumentation (wieder in englisch oder französisch) und viele Tutorials resp. Youtube-Videos dazu. Übrigens "passen" auch die Anleitungen zu darktable weitestgehend, wenn man nach den entsprechenden Befehlen sucht.

Die Dokumentation findet man unter https://ansel.photos/en/doc/ - sie basiert auch auf der darktable-Doku.

Dass Ansel auch höheren Ansprüchen genügt, will ich an einem Beispiel aus dem Bereich Color-Grading aufzeigen. Es gibt auf dem Markt verschiedene Farbreferenztafeln (zum Beispiel einen der verschiedenen Spyder Color-Checker von datacolor oder ein entsprechendes xrite-Produkt). Fotografiert man eine solche Tafel in einer Fotosession, die ansonsten feste Lichtverhältnisse bietet, mit, lassen sich in Ansel die Farbwerte mit dem Checker abgleichen. Hierzu gibt es im Reiter Color den Unterpunkt Farbkalibrierung. Hier lässt sich nun wählen, mit welcher Referenztafel man den Abgleich vornehmen möchte. Dieser funktioniert dann zum Beispiel über das Modul Farbanpassung.

Hier ein Beispielbild zu diesem Arbeitsschritt, bei dem auch die Metadaten eingeblendet sind:

       Ansel Color-Checker-Abgleich

 

Ein weiteres Feature, das ich hier vorstellen möchte, ist die weitgehend automatische Perspektivkorrektur.

Ansel - Vorbereitung der PerspektivkorrekturLinks sehen Sie hier das Originalbild, allerdings ist schon die Erkennung senkrechter Linien im entsprechenden Kontrollpanel aktiviert. Mit den rechts unten im Bild erkennbaren Kontrollelementen kann man dann die automatische Korrektur aktivieren - hier wurde (als eine von drei Möglichkeiten) die Schaltfläche "automatisch die horizontale Verzerrung korrigieren" benutzt.

Automatische VerzerrungkorrekturWie man sieht, ist das Motiv dafür nicht unbedingt geeignet gewesen - das Ergebnis ist optisch nicht sehr befriedigend. Natürlich lässt es sich gegebenenfalls anpassen, da gibt es viele Möglichkeiten. So lässt sich die automatische Korrektur zum Beispiel durch Shift-Klick oder Strg-Klick auf unterschiedliche Weise durchführen - auch können da Objektivart und -einstellungen mitberücksichtigt werden.

Fazit

Wozu Ansel, wenn es doch darktable gibt? Nun, die Einschätzung des Autors hört sich zwar ein bisschen nach Eigenlob an, aber es ist viel dran! Überschaubarer ist Ansel auf jeden Fall, ausreichend: absolut und schneller resp. zuverlässiger in einigen Punkten auch.

Darktable überfordert einen leicht - wenn man ein mächtiges Tool sucht und die entsprechenden Techniken beherrscht bzw. zumindest einordnen kann, ist das vorgestellte Programm sehr leistungsfähig und hilfreich.